Heilige Schöpfer des Sozialismus


Sakralisierung der Arbeit in der offiziellen Kunst der DDR
Katharina Lorenz

»Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.« Karl Marx

Trotz ausdrücklicher Säkularisierung wurde im sozialistischen Staat auf die Aneignung und ideologische Umwidmung religiös konnotierter Topoi keineswegs verzichtet.1 Sie zeigen sich neben Symbolen, Leitlinien und Ritualen auch in der Kunst der DDR. Wird der metaphorische profanierte Gebrauch christlicher Darstellungstraditionen dabei, analog zu Anleihen aus der griechisch-römischen Mythologie, vor allem als Möglichkeit gesellschaftskritischen Reflektierens über die politischen Umstände verstanden,2 so stellt sich umgekehrt die ergänzende Frage nach dem Potenzial religiöser Inszenierungen für ihre agitatorische Indienstnahme in der offiziellen Staatskunst. Die Sakralisierung zeigt sich formal durch den auffallend häufigen Rückgriff auf das Triptychon. Profane Bildthemen wurden gezielt mit dem religiösen Pathos des mittelalterlichen Altarretabels aufgeladen und so in ihrem Repräsentations- und Identifikationscharakter breitenwirksam monumentalisiert.3 Darüber hinaus finden sich vor allem in den Motiven der Arbeit, wie sie auf dem Bitterfelder Weg entstanden, zahlreiche inhaltliche Übersetzungen sakraler Bildformeln.4

Der Arbeiter als Märtyrer des Sozialismus

Ein Beispiel bietet Bernhard Frankes Aluwerkervon 1980.5 Das Gemälde zeigt drei Arbeiter in einer Fabrikumgebung, mit der sie in einem blaugrünen Dunstschleier zu verschmelzen scheinen. Die kühle Monochromie wird vereinzelt kontrastiert durch Nuancen von warmen Gelb- und Orangetönen, die sich am stärksten in der unteren Bildhälfte konzentrieren. Dadurch werden die Hand des Protagonisten und der untere Teil seines Werkzeugs gestalterisch zu einer zusammenhängenden Partie gruppiert, die den leuchtenden Fokus des Gemäldes bildet. Während der Titel nahelegt, die Lichtquelle mit der Glut des verflüssigten Aluminiums zu identifizieren und damit außerhalb des Bildraums zu verorten, lässt die besondere Betonung von Hand und Arbeitsgerät noch eine weitere Deutung zu. Das Gemälde Aufbau (1946) der Stralsunder Künstlerin Edith Dettmann zeigt eine vergleichbare Lichtregie: Auferstanden aus Ruinen, erhebt sich eine neue Heimat über den Trümmern der Nachkriegsmelancholie. Gleißend hell erstrahlen die unschuldigen Neubauten inmitten der dunklen Stadtlandschaft und künden vom Anbruch einer neuen heilsbringenden Zukunft. Die Leuchtkraft der Architektur wurde mit christlichen Anbetungsszenenassoziiert, in denen der Gottessohnselbst als zentrale Lichtquelle fungiert.6 Erinnert sei beispielsweise an Correggios Die Heilige Nacht (1530). Tritt bei Dettmann der Aufbauoptimismus als innerbildlicher Leuchtkörperan die Stelle des Jesuskindes, verhält es sich in Frankes Gemälde ebenso mit der Arbeit.

Ähnliches lässt sich in Frankes Porträt Eva, Chemiearbeiterin im CKB von 1968 beobachten, wobei hier die selbstleuchtende Kraft der Hand als Symbol der Arbeit noch deutlicher akzentuiert wird, da weder die Darstellung noch der Titel einen Hinweis auf eine andere, gegebenenfalls extern lokalisierte Lichtquelle liefern. Anders als Eva, die dem Betrachter aufrecht, stolz und wachen Auges gegenübertritt, senkt der Aluwerker den Blick, folgt in stiller Andacht seiner Bestimmung und hält sein Werkzeug wie ein Heiligenattribut fest in seinen Händen. Franke hat mit ihm nicht bloß einen Werktätigen porträtiert: Er zeigt den Arbeiter als demütigen Märtyrer des Sozialismus.

Vom Individuum zum Kollektiv

Die Betonung der schaffenden Hand, verbunden mit dem Motiv des Helden der Arbeit, findet sich auch in Willi Sittes Chemiearbeiter am Schaltpult (1968). Das Gemälde zeigt einen Fabrikarbeiter an seiner Maschine. Dem Betrachterzugewandt, navigiert er eine Hand über das Schaltpult und bedient mit der anderen in Höhe seiner Brust einen Knopf auf einer Glaswand, die sich zwischen ihm und dem Betrachter über die gesamte Bildfläche erhebt. Die Bewegung bildet den Mittelpunkt der Komposition und erscheint so von zentraler Bedeutung.

Durch die transparente Wand hindurch artikuliert sie sich in der Frontalansicht wie ein explizit auf den Betrachter gerichteter Fingerzeig, gleich der Dextera Dei. Damit erinnert sie nicht zuletzt an den ikonischen Schöpfungsgestus in Michelangelos Deckenfresken Die Erschaffung der Sonne, des Mondes und der Pflanzen und Erschaffung Adams (1508-1512) in der Sixtinischen Kapelle. DieKunst der Renaissance wurde in der DDR-Rezeption zwar affirmativ behandelt, allerdings nicht ohne Einschränkung. So behauptete Joachim Uhlitzsch bezogen auf die Sixtinische Madonna (1512/13): »Für Millionen Menschen hat Raffaels Madonna heute alle religiöse Bedeutsamkeit verloren, denn diese Bedeutsamkeit ist von ihr abgefallen, so wie der christliche Glaube als Teil einer vergangenen Ideologie an Kraft verlor.«7 Statt christlicher Werte sah der damalige Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der Mariendarstellung vielmehr die Ideale des Humanismus verbildlicht – und bekannte sich damit zur Aneignung und ideologischen Umwidmung religiöser Inhalte in der Kunst. Analog zu Buonarrotis Gottesvater fungiert Sittes Chemiearbeiter vor diesem Hintergrund als säkularisierter Weltenschöpfer, wodurch seine maßgebliche Beteiligung am Aufbau des Sozialismus hervorgehoben wird.8

Der auf dem VII. Parteitag 1967 ausgerufene Allmachtsanspruch der SED gibt Anlass, die Apotheose des Arbeiters als Verkörperung der Partei als Herrscherin über die »Menschengemeinschaft der DDR« zu deuten.9 Andererseits kann dieSchöpfungsmetapher als Hinweis auf die laienkünstlerische Partizipation der Werktätigen an der Gestaltung der neuen sozialistischen Nationalkultur, wie auf dem Bitterfelder Weg gefordert, verstanden werden. In beiden Fällen manifestiert sich das staatlich forcierte Kollektivierungsprinzip, die Schaffenskraft des Einzelnen – ob Arbeiter oder Künstler – nahezu vollumfänglich der Gemeinschaft verfügbar zu machen, was wiederum dem religiösen Streben entspricht, sein Leben dem Glauben zu widmen und damit in den Dienst des höheren Ganzen zu stellen.10 »Die Verehrung der ›Helden der Arbeit‹ in ...den sozialistischen Staaten nach 1945 nahm Züge eines religiösen Kults an, waren es doch vor allem die individuelle Selbstüberwindung und ihr freiwilliges Martyrium für die große gemeinsame Sache, die man an den sozialistischen Arbeitshelden, ähnlich wie bei Heiligen, feierte.«11Angesichts der nicht zuletzt körperlichen Aufopferung für die utopischen Heilsversprechen des Staateskann eine religiös aufgeladene Inszenierung der Werktätigen wie bei Franke oder Sitte nicht mehr bloß als pathetische Idealisierung verstanden, sondern muss aus heutiger Sicht zugleich als – wenngleich nicht intendierter – Euphemismus tragischen Heldentums erkannt werden.12 Bezeichnenderweise wird damit die marxistische Religionskritik geradezu beispielhaft vor Augen geführt.13 So hat sich der Sozialismus der DDR durch die eigene Sakralisierungin der offiziellen Kunstnicht nur unglaubwürdig verkauft, sondern am Ende auch selbst verraten.


1 Das Motiv der »Friedenstaube« erinnert an die christliche Taubensymbolik des Heiligen Geistes, die Zehn Gebote der Sozialistischen Moral und Ethik, der Jungpioniere und der Thälmann-Pionierean den Dekalog des AT, die Namensweihe ersetzte die Taufe, die Jugendweihe die christliche Konfirmation usw. Mehr zu Sakralisierungsbemühungen der SED: Vgl. Könczöl, Barbara: Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Frankfurt/Main, New York, 2008.
2 Schierz, Kai Uwe: Neues vom Turmbau. Zum metaphorischen Gebrauch biblischer und christlicher Motive in der bildenden Kunst der DDR. In: Rehberg, Karl-Siegbert; Holler, Wolfgang; Kaiser, Paul (Hg.): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen. Köln, 2012, S. 361-369 (nachfolgend:Schierz 2012), S. 368.
3 Ist das Triptychon bei regimekritischen Künstlern als Modernerezeption zu verstehen (z. B. deutet Karin Thomasdie Dreiteilung des Gemäldes Die Freunde (1957) von Harald Metzkes als Zitat der klassischen Moderne, genauer Max Beckmanns, vgl. Thomas, Karin: Kunst in Deutschland seit 1945. Köln, 2002, S. 94.), liefert die Orientierung an »formalistischen« Vorbildern keine Erklärung für seine Verwendung in der offiziellen Kunst der DDR, was die Aneignung und Umwidmung religiöser Repräsentationsformen als Deutungsmöglichkeit legitimiert.
4 Sachs, Angeli: Erfindung und Rezeption von Mythen in der Malerei der DDR. Berlin, 1994 (nachfolgend Sachs 1994), S. 9; Schierz 2012, S. 361ff.
5 Seit 1950 als Kunstzirkelleiter verschiedener Betriebsstättentätig, galt der Maler Bernhard Franke in der DDR als prägendes Vorbild für die bildkünstlerische Umsetzung der »Bitterfelder Ideen«. Er verhalf u. a. dem Zirkel der Farbenfabrik Wolfen nebst Kunstpreisen zu einem der »besten Volkskunstkollektive der DDR«.Vgl. Michel, Peter: Lehren und Lernen. Bernhard Franke und das bildnerische Volksschaffen. In: VEB Chemiekombinat Bitterfeld (Hg.): Bernhard Franke. Malerei Grafik. Bitterfeld, 1983, S. 23-29, S. 26.
6 Vgl. Damus, Martin: Malerei der DDR. Funktionen der bildenden Kunst im Realen Sozialismus. Reinbek bei Hamburg, 1991 (nachfolgend: Damus 1991), S. 34.
7 Uhlitzsch, Joachim: Bildende Kunst auf dem Bitterfelder Weg. Beiträge zur Kunsterziehung. Berlin (DDR), 1966, S. 32.
8 Die Überhöhung »vom Industriearbeiter zum Demiurgen« findet sich neben dem Chemiearbeiter am Schaltpult auch in Sittes Triptychon Leuna 1969 (1967-69). Vgl. Gillen, Eckhart J.: Arbeit und Alltag. Der neue Mansch im Sozialismus. In: Philipsen, Christian; Bauer-Friedrich, Thomas; Kaiser, Paul (Hg.): Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive. Leipzig, 2021, S. 383-391, S. 390. Ferner verbildlicht auch José Renaus Entwurf Der Mensch unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution (1969) eine Apotheose des Arbeiters am Schaltpult als antikisierte Gottheit (Damus 1991, S. 238 und Sachs 1994, S. 59). Dargestellt mit Zirkel inmitten einer futuristisch stilisierten Mandola erinnern Komposition und Attribut an Christus als Weltenschöpfer, z. B.auf der Titel-Illumination der Bible moralisée de Tolède (1226-1234)
9 Vgl. Damus 1991, S. 231f.
10 Die parteipolitische Forderung, die individuelle Leistung in den Dienst des Kollektivs zu stellen, wurde mit dem Bitterfelder Weg vom Gesellschaftsanliegen auf das künstlerische Feld transferiert: »Die Prägung der individuellen, persönlichen Erlebniswelt des Künstlers wird auf dem Bitterfelder Weg aus einer ›Privatsache‹ zu einer ›öffentlichen‹, gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit und von der sozialistischen Gesellschaft durch vielfältige Aktivitäten organisatorisch, ideell, moralisch und auch materiell stimuliert.« Vgl. Bühl, Harald u. a. (Hg.): Kulturpolitisches Wörterbuch. Berlin (DDR), 1970, S. 80ff., S. 81. Gefordert waren »die stetige Übereinstimmung der persönlichen Interessen, schöpferischen Neigungen und spezifischen Talente der Künstler mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sowie mit den wachsenden künstlerischen-ästhetischen Bedürfnissen der Werktätigen.« Vgl. ebd.
11 Leonhard, Jörn; Steinmetz, Willibald(Hg.): Semantiken von Arbeit. Diachrone und vergleichende Perspektiven. Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert. Bd. 91. Köln, Weimar, Wien, 2016, S. 19.
12 Die Chemieindustrie (darunter v. a. die Aluminiumproduktion) avancierte zur »Leitindustrie der DDR« für den gewinnbringenden Export, die Unabhängigkeit der DDR und damit den Aufbau des sozialistischen Staates, wie u. a. aus der Losung »Chemie bringt Brot –Wohlstand –Schönheit« der Chemiekonferenz des ZK der SED 1958 in Leuna hervorgeht (Vgl. Gillen, Eckhart J.: »Jawohl, diese Höhen müssen gestürmt werden« Alfred Kurella, der Bitterfelder Weg 1959 und die sowjetische Kulturrevolution 1929. In: Rehberg, Karl-Siegbert; Holler, Wolfgang; Kaiser, Paul (Hg.): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen. Köln, 2012, S. 175-183, S. 178). Zugleich waren gerade hier die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten besonders entbehrungsreich, mitunter sogar lebensgefährlich. Verwiesen sei, neben dem Einsatz hochgiftiger Stoffe, auf die Vinylchlorid-Explosion im Elektrochemischen Kombinat 1968, das größte Chemieunglück der DDR-Geschichte, bei dem 270 Menschen schwer und 42 tödlich verletzt wurden. Hannelore Melzer schreibt im kritischen Rückblick von einer »real stattfindende[n] Ruinierung der Gesundheit der Menschen ... durch eine ... Raubbau betreibende Produktion« (Vgl. Hannelore Melzer: Die Ökokatastrophe hat einen Namen: Bitterfeld. In: Munier, Gerald; Duhm, Burghard(Hg.): Vom Bauhaus nach Bitterfeld. Bielefeld, 1991, S. 76, ebd.).
13 »Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.« Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. (1843/44). In: Karl Marx/ Friedrich Engels -Werke. Bd.1. Berlin (DDR), 1976, S. 378-391, S. 379.