Bildende Kunst


AUFBAU

(Katharina Lorenz 2021, Bearbeitung: Katja Münchow 2022)

Der Bitterfelder Weg bildete die kulturelle Ergänzung zum städteplanerischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau des Landes. Künstlerische Gegenüberstellungen von Neubauten und Nachkriegstrümmern sowie Darstellungen von noch nicht fertig gestellten Großbauprojekten standen symbolisch für den Fortschritt und Zukunftsoptimismus der noch jungen DDR. Exemplarisch dokumentierte Walter Dötsch mit seinem Gemälde Aufbau des Kulturpalastes (1957) den damaligen Zeitgeist, geprägt vom kollektiven Aufbruchswillen.

Dass der Bitterfelder Weg ausgerechnet in dem Konzert- und Veranstaltungshaus des EKB verkündet wurde, scheint kein Zufall gewesen zu sein: Die Chemie- und vor allem die Aluminiumproduktion galten als »Leitindustrie der DDR«. Der Chemiestandort Bitterfeld im Ballungszentrum Halle-Bitterfeld-Leuna zählte zu den wirtschaftlichen Hoffnungsträgern. Der Kulturpalast in Bitterfeld bot eine schillernde Bühne und wirkmächtige Projektionsfläche. Errichtet wurde der repräsentative Bau zwischen 1952 und 1954 vorrangig von den Werktätigen selbst, nach der Schicht, durch freiwillige, unbezahlte »Aufbaustunden« im Rahmen des »Nationalen Aufbauwerks«. Mit Größe, Glanz und technischer Innovation avancierte er, mitten im Zentrum des Kombinatsgeländes, zur steinernen Metapher für den Aufbau des Sozialismus, sein kulturell-geistiges Potenzial und seine wirtschaftliche Stärke – unmittelbar der Kraft der Werktätigen entsprungen.

Der Tagungsort der Bitterfelder Konferenzen blieb nicht nur die geistige Wiege des künstlerischen Volksschaffens. Mit 240 Kabinetten bot der Kulturpalast in seiner Blütezeit sechzig Laienkunstgruppen mit insgesamt etwa 2500 Mitgliedern in Kunst-, Schreib-, Musik-, Theater- und Tanzzirkeln, einem Sinfonieorchester, Puppentheater, Ballettensemble, Filmklub und im Gesangkollektiv genügend Raum zur kreativen, künstlerischen Entfaltung. Noch 1989 beherbergte der »KuPa« dreißig Zirkel mit etwa 800 Mitgliedern.


ARBEIT

(Katharina Lorenz 2021, Bearbeitung: Katja Münchow 2022)

In der offiziellen Kunst der DDR hatten Bilder neben dem formalen Realismus-Anspruch vor allem die ideologischen Leitgedanken des Sozialismus zu vertreten und dabei Stolz und Zugehörigkeitsgefühl der ArbeiterInnen zu ihrer Klasse und ihrem Land zu stärken. Die Kunst des Bitterfelder Weges ist deshalb auf das Engste mit der Darstellung der ArbeiterInnen und des Produktionsalltags verbunden. Während des 40-jährigen Bestehens des Staates durchwanderte das ArbeiterInnenporträt verschiedene Phasen. Dominierte anfangs die Figur des »neuen Menschen« im Stil zurückhaltend-nüchterner Sachlichkeit, verschob sich mit der Bitterfelder Idee und der Brigade-Bewegung um 1960 der inhaltliche Fokus auf die Erziehung des arbeitenden Volkes zu »allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten«. Arbeiter wurden häufig in intellektueller Pose gezeigt, etwa beim Lernen, Lesen oder Diskutieren. Bis Ende der 1960er Jahre setzte sich eine Inszenierung der »Helden der Arbeit« durch, die auch formal immer stärker an Dynamik gewann und ihren Höhepunkt in einer „Vergöttlichung“ der Werktätigen fand. Ab Mitte der 1970er Jahre führte die realsozialistische Lebenswirklichkeit zunehmend zur künstlerischen Dekonstruktion der Aufbau- und Arbeitseuphorie. Gegen Ende der DDR häuften sich kritische Bilder selbst in der betrieblich organisierten Auftragskunst, ohne noch Interventionen befürchten zu müssen.

Eine Besonderheit in der Porträtkunst der DDR stellt das Brigadebildnis dar. Walter Dötsch widmete sich diesem Motiv geradezu beispielhaft. Entsprechend dem Bitterfelder Gedanken, »enge, kontinuierliche Kontakte mit der Arbeit, dem Denken und Fühlen der Arbeiter« zu pflegen, begleitete er die Brigade Mamai als Ehrenmitglied in der Produktion. Dabei entstand u. a. sein ikonisches Werk Brigade Nicolai Mamai – Schmelzer Nationalpreisträger Hübner hilft seinen Kollegen (1961). Die Lehrszene zeigt sieben Aluwerker am Schmelzofen in offener Formation. Die Betrachtenden werden stille Zeugen des Produktionsalltags – künstlerische Umsetzung der von der Kulturpolitik propagierten Aufhebung der Distanz zwischen Künstler- und Arbeiterschaft. Bis zu seinem Ableben im Jahr 1987 fertigte Dötsch zahlreiche weitere Bildnisse der Mamais. Seine späteren Darstellungen der Brigade Mamai dokumentieren sowohl Dötschs künstlerische Entwicklung als auch die Folgen der herausfordernden Arbeitsbedingungen in der Aluminiumherstellung.


ZWEITE SCHICHT

(Katharina Lorenz 2021, Bearbeitung: Katja Münchow 2022)

Die DDR gilt als Vorbild für gesetzlich verankerte Emanzipation von Frauen. Die Gleichberechtigung der Frauen war schon in der Gründungsverfassung 1949 festgeschrieben worden und tatsächlich war ihre gleichberechtigte Teilnahme am Erwerbsleben während des Wiederaufbaus nach dem Krieg und später zur Sicherung der Wirtschaftsleistung des Staates unentbehrlich. Frauen wurden selbst in sonst männerdominierte Aufgabenbereiche eingebunden. 1989 standen mehr als 90 Prozent aller DDR-Bürgerinnen in einem Beschäftigungsverhältnis. Entsprechend präsent zeigt sich die weibliche Arbeiterschaft auch in der Kunst auf dem Bitterfelder Weg, etwa mit Bernhard Frankes Eva (1960) und Eva, Chemiearbeiterin des CKB (1968). Der Vergleich spiegelt die künstlerische Entwicklung von der reduzierten Nüchternheit der »sozialistischen Persönlichkeit« bis hin zur expressiven Dynamik der »Heldin der Arbeit« wider.

Die Mehrfachbelastung der Frauen war trotz staatlicher Unterstützung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, etwa durch ein enges Netz von Krippen und Kindergärten oder den »Haushaltstag«, enorm. Während Männer in der DDR durchschnittlich 59 Stunden pro Woche arbeiteten, kamen Frauen mit Job, Kinderbetreuung und Haushalt auf etwa 93 (Anna Kaminsky, 2020). Neben der Erwerbsarbeit erfüllten sie in »zweiter Schicht« ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter und nach dem »zweiten Feierabend« wartete das freiwillige gesellschaftliche, politische oder kulturelle Engagement. Vor diesem Hintergrund entstand im Auftrag des CKB Dötschs Triptychon Ein Tag aus dem Leben der Martha Gellert (1971/72). Es zeigt die sozialistische Dreifaltigkeit weiblichen Multitaskings: liebende Mutter, zielstrebige Arbeiterin und Vorzeigesozialistin in einer Person. Wie sehr die Frauen unter dieser Mehrfachbelastung litten, wurde nicht zuletzt in der Kunst zunehmend sichtbar - in Gemälden, die wie Wagenbretts Brigade II (1989), die Folgen jahrzehntelangen Strapazen offenbarten.


SEHNSUCHT

(Katharina Lorenz 2021, Bearbeitung: Katja Münchow 2022)

Die Verbindung von Kunst und Arbeit zielte nicht zuletzt auf einen geistigen Ausgleich zum harten Werksalltag. So wurden Gemälde zur Ausgestaltung der Betriebe in Auftrag gegeben, um etwa gemeinschaftlich genutzte Bereiche künstlerisch zu beleben. In diesem Rahmen entstanden auch ideologisch weniger aufgeladene Arbeiten wie das Triptychon Camping (1963), das Bernhard Franke für einen Aufenthaltsraum des EKB schuf. Die Werktätigen in ihrer Freizeit zu zeigen, entsprach durchaus dem Ideal vom »sozialistischen Leben und Arbeiten«, bot aber zugleich den KünstlerInnen die Möglichkeit, sich der Forderung zu entziehen, »den befreienden Eindruck, den die Arbeit vermitteln sollte, darstellen zu müssen« (Manuela Uhlmann 1999). Deshalb avancierten Urlaub, die Rast, die Pause oder der Feierabend generell zu bevorzugten Sujets innerhalb der ArbeiterInnen- und Brigadebildnisse.

Ihre Darstellung knüpfte an die staatlich geförderte kulturelle Freizeitgestaltung der ArbeiterInnen, entsprach aber auch einem gewissen Sehnsuchtsgefühl der Werktätigen. Neben dem Kunstgenuss bei der Bildbetrachtung in den Fabriken oder bei gemeinsamen Veranstaltungsbesuchen nach verrichtetem Tagwerk, lud vor allem die Teilnahme am Zirkelwesen zur Alltagsflucht in die gedankliche Zerstreuung und geistige Kontemplation ein. In den Zirkeln entstanden Porträts von musizierenden, schreibenden oder malenden Werktätigen. Zahlreiche Laienkunstgruppen wie der Wolfener Schreibzirkel oder auch die Malzirkel von Dötsch und Franke wurden durch ihre Veröffentlichungen, Auftritte und Ausstellungen DDR-weit bekannt, mit Kunstpreisen geehrt und mit Studienreisen ins sozialistische Ausland belohnt. So konnten neue Sehnsuchtsorte erschlossen werden, die wiederum eine breitere Themenvielfalt ermöglichte. Mitunter eröffneten die betrieblichen Zirkel dem individuellen Sehnen nach einem erfüllten Leben auch neue Perspektiven. Für einige Mitglieder legte die künstlerische Ausbildung im Zirkel tatsächlich den Grundstein für eine berufliche Entwicklung als KünstlerIn.