Exkurse zu 4 Bildern


Heilige Schöpfer des Sozialismus


Sakralisierung der Arbeit in der offiziellen Kunst der DDR
Katharina Lorenz

»Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.« Karl Marx

Trotz ausdrücklicher Säkularisierung wurde im sozialistischen Staat auf die Aneignung und ideologische Umwidmung religiös konnotierter Topoi keineswegs verzichtet.1 Sie zeigen sich neben Symbolen, Leitlinien und Ritualen auch in der Kunst der DDR. Wird der metaphorische profanierte Gebrauch christlicher Darstellungstraditionen dabei, analog zu Anleihen aus der griechisch-römischen Mythologie, vor allem als Möglichkeit gesellschaftskritischen Reflektierens über die politischen Umstände verstanden,2 so stellt sich umgekehrt die ergänzende Frage nach dem Potenzial religiöser Inszenierungen für ihre agitatorische Indienstnahme in der offiziellen Staatskunst. Die Sakralisierung zeigt sich formal durch den auffallend häufigen Rückgriff auf das Triptychon. Profane Bildthemen wurden gezielt mit dem religiösen Pathos des mittelalterlichen Altarretabels aufgeladen und so in ihrem Repräsentations- und Identifikationscharakter breitenwirksam monumentalisiert.3 Darüber hinaus finden sich vor allem in den Motiven der Arbeit, wie sie auf dem Bitterfelder Weg entstanden, zahlreiche inhaltliche Übersetzungen sakraler Bildformeln.4

Der Arbeiter als Märtyrer des Sozialismus

Ein Beispiel bietet Bernhard Frankes Aluwerker von 1980.5 Das Gemälde zeigt drei Arbeiter in einer Fabrikumgebung, mit der sie in einem blaugrünen Dunstschleier zu verschmelzen scheinen. Die kühle Monochromie wird vereinzelt kontrastiert durch Nuancen von warmen Gelb- und Orangetönen, die sich am stärksten in der unteren Bildhälfte konzentrieren. Dadurch werden die Hand des Protagonisten und der untere Teil seines Werkzeugs gestalterisch zu einer zusammenhängenden Partie gruppiert, die den leuchtenden Fokus des Gemäldes bildet. Während der Titel nahelegt, die Lichtquelle mit der Glut des verflüssigten Aluminiums zu identifizieren und damit außerhalb des Bildraums zu verorten, lässt die besondere Betonung von Hand und Arbeitsgerät noch eine weitere Deutung zu. Das Gemälde Aufbau (1946) der Stralsunder Künstlerin Edith Dettmann zeigt eine vergleichbare Lichtregie: Auferstanden aus Ruinen, erhebt sich eine neue Heimat über den Trümmern der Nachkriegsmelancholie. Gleißend hell erstrahlen die unschuldigen Neubauten inmitten der dunklen Stadtlandschaft und künden vom Anbruch einer neuen heilsbringenden Zukunft. Die Leuchtkraft der Architektur wurde mit christlichen Anbetungsszenen assoziiert, in denen der Gottessohn selbst als zentrale Lichtquelle fungiert.6 Erinnert sei beispielsweise an Correggios Die Heilige Nacht (1530). Tritt bei Dettmann der Aufbauoptimismus als innerbildlicher Leuchtkörper an die Stelle des Jesuskindes, verhält es sich in Frankes Gemälde ebenso mit der Arbeit.

Ähnliches lässt sich in Frankes Porträt Eva, Chemiearbeiterin im CKB von 1968 beobachten, wobei hier die selbstleuchtende Kraft der Hand als Symbol der Arbeit noch deutlicher akzentuiert wird, da weder die Darstellung noch der Titel einen Hinweis auf eine andere, gegebenenfalls extern lokalisierte Lichtquelle liefern. Anders als Eva, die dem Betrachter aufrecht, stolz und wachen Auges gegenübertritt, senkt der Aluwerker den Blick, folgt in stiller Andacht seiner Bestimmung und hält sein Werkzeug wie ein Heiligenattribut fest in seinen Händen. Franke hat mit ihm nicht bloß einen Werktätigen porträtiert: Er zeigt den Arbeiter als demütigen Märtyrer des Sozialismus.

Vom Individuum zum Kollektiv

Die Betonung der schaffenden Hand, verbunden mit dem Motiv des Helden der Arbeit, findet sich auch in Willi Sittes Chemiearbeiter am Schaltpult (1968). Das Gemälde zeigt einen Fabrikarbeiter an seiner Maschine. Dem Betrachter zugewandt, navigiert er eine Hand über das Schaltpult und bedient mit der anderen in Höhe seiner Brust einen Knopf auf einer Glaswand, die sich zwischen ihm und dem Betrachter über die gesamte Bildfläche erhebt. Die Bewegung bildet den Mittelpunkt der Komposition und erscheint so von zentraler Bedeutung.

Durch die transparente Wand hindurch artikuliert sie sich in der Frontalansicht wie ein explizit auf den Betrachter gerichteter Fingerzeig, gleich der Dextera Dei. Damit erinnert sie nicht zuletzt an den ikonischen Schöpfungsgestus in Michelangelos Deckenfresken Die Erschaffung der Sonne, des Mondes und der Pflanzen und Erschaffung Adams (1508-1512) in der Sixtinischen Kapelle. Die Kunst der Renaissance wurde in der DDR-Rezeption zwar affirmativ behandelt, allerdings nicht ohne Einschränkung. So behauptete Joachim Uhlitzsch bezogen auf die Sixtinische Madonna (1512/13): »Für Millionen Menschen hat Raffaels Madonna heute alle religiöse Bedeutsamkeit verloren, denn diese Bedeutsamkeit ist von ihr abgefallen, so wie der christliche Glaube als Teil einer vergangenen Ideologie an Kraft verlor.«7 Statt christlicher Werte sah der damalige Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der Mariendarstellung vielmehr die Ideale des Humanismus verbildlicht – und bekannte sich damit zur Aneignung und ideologischen Umwidmung religiöser Inhalte in der Kunst. Analog zu Buonarrotis Gottesvater fungiert Sittes Chemiearbeiter vor diesem Hintergrund als säkularisierter Weltenschöpfer, wodurch seine maßgebliche Beteiligung am Aufbau des Sozialismus hervorgehoben wird.8

Der auf dem VII. Parteitag 1967 ausgerufene Allmachtsanspruch der SED gibt Anlass, die Apotheose des Arbeiters als Verkörperung der Partei als Herrscherin über die »Menschengemeinschaft der DDR« zu deuten.9 Andererseits kann die Schöpfungsmetapher als Hinweis auf die laienkünstlerische Partizipation der Werktätigen an der Gestaltung der neuen sozialistischen Nationalkultur, wie auf dem Bitterfelder Weg gefordert, verstanden werden. In beiden Fällen manifestiert sich das staatlich forcierte Kollektivierungsprinzip, die Schaffenskraft des Einzelnen – ob Arbeiter oder Künstler – nahezu vollumfänglich der Gemeinschaft verfügbar zu machen, was wiederum dem religiösen Streben entspricht, sein Leben dem Glauben zu widmen und damit in den Dienst des höheren Ganzen zu stellen.10 »Die Verehrung der ›Helden der Arbeit‹ in ...den sozialistischen Staaten nach 1945 nahm Züge eines religiösen Kults an, waren es doch vor allem die individuelle Selbstüberwindung und ihr freiwilliges Martyrium für die große gemeinsame Sache, die man an den sozialistischen Arbeitshelden, ähnlich wie bei Heiligen, feierte.«11Angesichts der nicht zuletzt körperlichen Aufopferung für die utopischen Heilsversprechen des Staates kann eine religiös aufgeladene Inszenierung der Werktätigen wie bei Franke oder Sitte nicht mehr bloß als pathetische Idealisierung verstanden, sondern muss aus heutiger Sicht zugleich als – wenngleich nicht intendierter – Euphemismus tragischen Heldentums erkannt werden.12 Bezeichnenderweise wird damit die marxistische Religionskritik geradezu beispielhaft vor Augen geführt.13 So hat sich der Sozialismus der DDR durch die eigene Sakralisierung in der offiziellen Kunst nicht nur unglaubwürdig verkauft, sondern am Ende auch selbst verraten.


1 Das Motiv der »Friedenstaube« erinnert an die christliche Taubensymbolik des Heiligen Geistes, die Zehn Gebote der Sozialistischen Moral und Ethik, der Jungpioniere und der Thälmann-Pioniere an den Dekalog des AT, die Namensweihe ersetzte die Taufe, die Jugendweihe die christliche Konfirmation usw. Mehr zu Sakralisierungsbemühungen der SED: Vgl. Könczöl, Barbara: Märtyrer des Sozialismus. Die SED und das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Frankfurt/Main, New York, 2008.
2 Schierz, Kai Uwe: Neues vom Turmbau. Zum metaphorischen Gebrauch biblischer und christlicher Motive in der bildenden Kunst der DDR. In: Rehberg, Karl-Siegbert; Holler, Wolfgang; Kaiser, Paul (Hg.): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen. Köln, 2012, S. 361-369 (nachfolgend: Schierz 2012), S. 368.
3 Ist das Triptychon bei regimekritischen Künstlern als Modernerezeption zu verstehen (z. B. deutet Karin Thomas die Dreiteilung des Gemäldes Die Freunde (1957) von Harald Metzkes als Zitat der klassischen Moderne, genauer Max Beckmanns, vgl. Thomas, Karin: Kunst in Deutschland seit 1945. Köln, 2002, S. 94.), liefert die Orientierung an »formalistischen« Vorbildern keine Erklärung für seine Verwendung in der offiziellen Kunst der DDR, was die Aneignung und Umwidmung religiöser Repräsentationsformen als Deutungsmöglichkeit legitimiert.
4 Sachs, Angeli: Erfindung und Rezeption von Mythen in der Malerei der DDR. Berlin, 1994 (nachfolgend Sachs 1994), S. 9; Schierz 2012, S. 361ff.
5 Seit 1950 als Kunstzirkelleiter verschiedener Betriebsstätten tätig, galt der Maler Bernhard Franke in der DDR als prägendes Vorbild für die bildkünstlerische Umsetzung der »Bitterfelder Ideen«. Er verhalf u. a. dem Zirkel der Farbenfabrik Wolfen nebst Kunstpreisen zu einem der »besten Volkskunstkollektive der DDR«.Vgl. Michel, Peter: Lehren und Lernen. Bernhard Franke und das bildnerische Volksschaffen. In: VEB Chemiekombinat Bitterfeld (Hg.): Bernhard Franke. Malerei Grafik. Bitterfeld, 1983, S. 23-29, S. 26.
6 Vgl. Damus, Martin: Malerei der DDR. Funktionen der bildenden Kunst im Realen Sozialismus. Reinbek bei Hamburg, 1991 (nachfolgend: Damus 1991), S. 34.
7 Uhlitzsch, Joachim: Bildende Kunst auf dem Bitterfelder Weg. Beiträge zur Kunsterziehung. Berlin (DDR), 1966, S. 32.
8 Die Überhöhung »vom Industriearbeiter zum Demiurgen« findet sich neben dem Chemiearbeiter am Schaltpult auch in Sittes Triptychon Leuna 1969 (1967-69). Vgl. Gillen, Eckhart J.: Arbeit und Alltag. Der neue Mansch im Sozialismus. In: Philipsen, Christian; Bauer-Friedrich, Thomas; Kaiser, Paul (Hg.): Sittes Welt. Willi Sitte: Die Retrospektive. Leipzig, 2021, S. 383-391, S. 390. Ferner verbildlicht auch José Renaus Entwurf Der Mensch unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution (1969) eine Apotheose des Arbeiters am Schaltpult als antikisierte Gottheit (Damus 1991, S. 238 und Sachs 1994, S. 59). Dargestellt mit Zirkel inmitten einer futuristisch stilisierten Mandola erinnern Komposition und Attribut an Christus als Weltenschöpfer, z. B. auf der Titel-Illumination der Bible moralisée de Tolède (1226-1234)
9 Vgl. Damus 1991, S. 231f.
10 Die parteipolitische Forderung, die individuelle Leistung in den Dienst des Kollektivs zu stellen, wurde mit dem Bitterfelder Weg vom Gesellschaftsanliegen auf das künstlerische Feld transferiert: »Die Prägung der individuellen, persönlichen Erlebniswelt des Künstlers wird auf dem Bitterfelder Weg aus einer ›Privatsache‹ zu einer ›öffentlichen‹, gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit und von der sozialistischen Gesellschaft durch vielfältige Aktivitäten organisatorisch, ideell, moralisch und auch materiell stimuliert.« Vgl. Bühl, Harald u. a. (Hg.): Kulturpolitisches Wörterbuch. Berlin (DDR), 1970, S. 80ff., S. 81. Gefordert waren »die stetige Übereinstimmung der persönlichen Interessen, schöpferischen Neigungen und spezifischen Talente der Künstler mit der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung sowie mit den wachsenden künstlerischen-ästhetischen Bedürfnissen der Werktätigen.« Vgl. ebd.
11 Leonhard, Jörn; Steinmetz, Willibald (Hg.): Semantiken von Arbeit. Diachrone und vergleichende Perspektiven. Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert. Bd. 91. Köln, Weimar, Wien, 2016, S. 19.
12 Die Chemieindustrie (darunter v. a. die Aluminiumproduktion) avancierte zur »Leitindustrie der DDR« für den gewinnbringenden Export, die Unabhängigkeit der DDR und damit den Aufbau des sozialistischen Staates, wie u. a. aus der Losung »Chemie bringt Brot –Wohlstand –Schönheit« der Chemiekonferenz des ZK der SED 1958 in Leuna hervorgeht (Vgl. Gillen, Eckhart J.: »Jawohl, diese Höhen müssen gestürmt werden« Alfred Kurella, der Bitterfelder Weg 1959 und die sowjetische Kulturrevolution 1929. In: Rehberg, Karl-Siegbert; Holler, Wolfgang; Kaiser, Paul (Hg.): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen. Köln, 2012, S. 175-183, S. 178). Zugleich waren gerade hier die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten besonders entbehrungsreich, mitunter sogar lebensgefährlich. Verwiesen sei, neben dem Einsatz hochgiftiger Stoffe, auf die Vinylchlorid-Explosion im Elektrochemischen Kombinat 1968, das größte Chemieunglück der DDR-Geschichte, bei dem 270 Menschen schwer und 42 tödlich verletzt wurden. Hannelore Melzer schreibt im kritischen Rückblick von einer »real stattfindende[n] Ruinierung der Gesundheit der Menschen ... durch eine ... Raubbau betreibende Produktion« (Vgl. Hannelore Melzer: Die Ökokatastrophe hat einen Namen: Bitterfeld. In: Munier, Gerald; Duhm, Burghard (Hg.): Vom Bauhaus nach Bitterfeld. Bielefeld, 1991, S. 76, ebd.).
13 »Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks. Die Forderung, die Illusionen über einen Zustand aufzugeben, ist die Forderung, einen Zustand aufzugeben, der der Illusionen bedarf.« Marx, Karl: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. (1843/44). In: Karl Marx/ Friedrich Engels -Werke. Bd.1. Berlin (DDR), 1976, S. 378-391, S. 379.


Helden für das Kollektiv


Katharina Lorenz

Sechs junge Männer drängen sich in der Hitze des Aluminiumwerksum einen Routinier aus den eigenen Reihen.Vor der Schmelzanlage unterweist der erfahrene Arbeiter seine Mitstreiter im Umgang mit der flüssigen Glut. Walter Dötschs Brigade Nicolai Mamai, Schmelzer-Nationalpreisträger Hübner hilft seinen Kollegen gilt heute als »Prototyp« des Brigadeporträts, einer zentralen Bildgattung des Sozialistischen Realimus.1
Die ideologisch instrumentalisierte Darstellung der Werktätigen durchwanderte während des 40-jährigen Bestehens der DDR verschiedene Phasen. Dominierte die Malerei anfangs noch die Figur des »neuen Menschen«,2 verschob sich um 1960 der motivische Fokus auf die Erziehung des Volkes zu umfassend gebildeten »sozialistischen Persönlichkeiten«.3 Die Entwicklung erreichte gegen Ende der 1960er ihren Höhepunkt mit der Apotheose der Werkschaffenden infolge des »wissenschaftlich-technischen Fortschritts«,4 bis ab Mitte der 1970 er die »realsozialistische« Lebenswirklichkeit die künstlerische Dekonstruktion der Arbeiterheldenvorantrieb.5

Dötschs Gemälde entstand 1961 am Übergangder ersten zur zweiten Phase und steht exemplarisch für die Einheitvon Arbeit, Kultur und Lebenin der DDR, wie sie ab 1959 mit der neuen Brigadebewegung und dem Bitterfelder Weg sowohl gesellschafts- als auch kulturpolitisch gefordert wurde.

»Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«

Seit 1950 organisierten sich die Werktätigen in den Volkseigenen Betrieben der DDR nach sowjetischem Vorbild in kleineren Arbeitseinheiten, den Brigaden. Um die Wirtschaftsleistung des Staates voranzutreiben, wurden gemeinsame Planziele festgelegt und der Wettbewerb um deren (Über-)Erfüllung6 mit nationalen Auszeichnungen wie der des »Helden der Arbeit« politisch forciert.7 Anlässlich des zehnten Jahrestagesder DDR-Gründung initiierte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) die neue Brigadebewegung »Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«, verknüpft mit der Verleihung des Titels »Brigade der sozialistischen Arbeit«.8 Wie die Losung bereits ankündigt, implizierte die Kampagne einen Übergriff auf die Privatsphäre der Arbeiterschaft.9

Neben der Qualitäts- und Produktivitätssteigerung, sollte sie die Kollektive zu gemeinsamen kulturellen Freizeitaktivitäten ermuntern, die über Theater- und Konzertbesuche hinaus mit Brigade-Tagebüchern, Wandzeitungen und unter Einbeziehung der Familien »das gesamte Kaleidoskop des sozialistischen Lebens« abbildeten.10 Zum Auftakt inszenierte der FDGB einen entsprechenden Aufruf durch die Jugendbrigade »Nikolai Mamai« des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld (EKB), der dort im Januar 1959 über den Betriebsfunk abgesetzt wurde.11 DieVerkünder erhielten später auch den ersten Preis der neuen Brigadebewegung. Mit dem Streben nach mehr Wissen und kultureller Bildung agierten die jungen Arbeiter bereits ganz im Sinne der kurz daraufkulturpolitisch geforderten Annäherung von Kunst-und Werkschaffenden.12

Aufhebung der Distanz

Der Maler und Grafiker Walter Dötsch hatte unter anderem bei dem ehemaligen Bauhaus-Lehrer Oskar Schlemmer an der Akademie für Kunst und Kunstgewerbe zu Breslau studiert, bevor er 1945 nach seiner Flucht aus Schlesien in Bitterfeld eine zweite Heimat fand. Er übernahm die Leitung der betriebseigenen Kunstzirkel in der Filmfabrik Wolfen (ab 1949) und dem EKB (ab 1950) und schloss schon bald darauf mit beiden Werken sogenannte »Freundschaftsverträge« ab (1952/53).13 Nachdem die Künstlerschaft auf der Ersten Bitterfelder Konferenz im April 1959 aufgefordert wurde, zur Gewinnung von Themen und Motiven »enge, kontinuierliche Kontakte mit der Arbeit, dem Denken und Fühlen der Arbeiter« zu pflegen,14 wurde Dötsch zum Ehrenmitglied der Brigade Mamai ernannt und begleitete sie fortan in der Produktion.

Die eingangs erwähnte Lehrszene am Schmelzofen stellt das dritte Gemälde von zahlreichen Studien und Bildnissen dar, die der Künstler von den Mamais anfertigte. Die1,22 Meter hohe und zwei Meterbreite Hartfaser zeigt die Arbeiter in Lebensgröße. In offener Kreisformation stehen sie dem Betrachter zugewandt gegenüber, als bilde er selbst ein Mitglied der Brigade,15 als ließe Dötsch den Außenstehenden an seiner statt zum stillen Zeugen des Produktionsalltags werden. So führt er dem Publikum die von der Kulturpolitik propagierte Aufhebung der Distanz zwischen Künstler- und Arbeiterschaft malerisch vor Augen. Die dichte Figurenkonstellation und die farblich betonte Wärmeentwicklung des dargestellten Schmelzprozesses verstärken die vermittelte Nähe, das Zugehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit dem Bildpersonal, was von der DDR-Kritik lobend hervorgehoben wurde.16

Ein moderner Blick

Zugleich erstaunt der beinahe dokumentarische Einblick in die Arbeitswelt: Statt propagandistischer Überzeichnung beherrschen natürliche Haltungen undnüchterner Pragmatismus die Bildstimmung. Keine Spur von überschwänglicher Euphorie und stolzen Gesten des Aufbauoptimismus. Stattdessen kräftige junge Männer, denen der Schweiß auf der Stirn und die Planerfüllung im Nacken sitzen.17 Es habe ihn schon immer zur Gestaltung des Menschen gedrängt, kommentierte der Maler selbst sein Gruppenbildnis.18 Dötschs Interesse an der Varietät von Körperlichkeit und Ausdruck begründet sich mit seiner Studienzeit bei Oskar Schlemmer, den er sein Leben lang tief verehrte, und ferner mit einer gewissen Nähe zur halleschen Schule, die sich stark an der klassischen Moderne orientierte.19 Die immersive Qualität sowie formale Aspekte wie die starke Kontur, die leuchtende Farbkraft und die spannungsreiche Komposition verleihen dem Gemälde eine bemerkenswert moderne Ästhetik. Wurde das Bild wegen eben dieser modernistischen Züge anfänglich als »zu formalistisch« kritisiert, überzeugte es erst nach einem jahrzehntelangen Ping-Pong der Kritik als bedeutendes Zeugnis der Brigadebewegung und veranlasste Ernst Werner Schulze von der halleschen Kunsthochschule dazu, es auf seiner Trauerrede zu Ehrendes 1987 verstorbenen Künstlersschließlich zu »den Inkunabeln der bildenden Kunst« in der DDR zu erheben.20

Späte Erschöpfung

Dötsch blieb den beiden Malzirkeln und der Brigade Mamai bis zuletzt treu. Neben dem Gemälde von 1961 befinden sich in der Bitterfelder Sammlung des Landes Sachsen-Anhalt noch drei weitere Bilder, die der Künstler, damals bereits über 70-jährig, von dem EKB-Kollektiv angefertigt hatte, darunter Brigade Mamai 3 (1985). Das Großformat zeigt die einst gefeierten Helden der Arbeit gut 25 Jahre später: Die Kleidung sitzt nicht mehr ganz so locker, statt Schirmmützen bedecken nun Schutzhelme den mittlerweile ergrauten Schopf und dichter Bartwuchs versteckt das gealterte Kinn. Konzentriert hantieren die Männer mit Pumpen, Schläuchen, Drahtseilen und schwerem Gerät starr vor sich hin. Von links steuert ein Fahrzeugführer gedankenverloren ins Bild. Vor ihm wenden sich zwei Kollegen frontal dem Publikum zu, doch auch ihre Blicke reichen bloß ins Leere.

Mit der Leuchtkraft, Dynamik und Lebendigkeitdes früheren Gemäldes hat die Darstellung nur noch wenig gemein. Sie wirkt genauso blass, abgekämpft und müde wie das Bildpersonal. Die entbehrungsreichen Arbeitsbedingungen in der Aluminiumherstellung und der permanente Druck, bei Hitze und giftigen Dämpfen am 950 Grad heißen Schmelzofen21 die Planziele zu erreichen, forderten ihren offensichtlichen Tribut. Als Mitte der 1970er Jahre die Kritik an den Lebens- und Arbeitsbedingungen im »realen« Sozialismus sowie der sich abzeichnende »Absturz« des Systems zum vorherrschenden Thema der Arbeiter- und Brigadedarstellungen avancierte,22 konnte sich auch der späte Dötsch nicht mehr entziehen, der allgegenwärtigen Erschöpfung künstlerisch Ausdruck zu verleihen.


1 Siebeneicker, Arnulf: »Optimismus, Stolz, Arbeitsfreude und Wohlbefinden«. Kunstaufträge der Betriebe in der DDR. In: Kaiser, Paul; Rehberg, Karl-Siegbert (Hg.): Enge und Vielfalt. Auftragskunst und Kunstförderung in der DDR: Analysen und Meinungen. Hamburg 1999, S. 145-158 (nachfolgend: Siebeneicker 1999), S. 151f.2
Bsp.: Walter Dötsch, Arbeiterporträt, (1958); Bernhard Franke, Eva (1960).
3 Bsp.: Willi Neubert, Stahlwerker II(1968); Willi Sitte, Arbeitertriptychon (1960) sowie Brigade Heinecke aus der Karbidfabrik des Buna-Werks (1963); Walter Dötsch, Flötistin aus dem EKB-Orchester (1964), Bernhard Franke, Chemiearbeiter (1968).4
Bsp.: Bernhard Franke, Junge Intelligenz in der Chemie (1968/69); Willi Sitte Leuna 1969 (1967-69); José Renau, Der Mensch unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Revolution (1969).
5 Vgl. Sachs, Angeli: Erfindung und Rezeption von Mythen in der Malerei der DDR. Berlin, 1994, S. 9.; S. 77f. Bsp.: Wolfgang Mattheuer, Ausgezeichnete (1973/74); Horst Sakulowski, Porträt nach Dienstschluss (1976); Willi Sitte, Im LMW(1977), Sighard Gille Brigadefeier-Gerüstbauer (1975/77); Uwe Pfeiffer, Der Tod und der Arbeiter (1985), Andreas Wachter, Held der Arbeit (1984) usw.
6 Die ambitionierte Übererfüllung von Planzielen durch Einzelne wurde methodisch kultiviert. Bsp.: die »Hennecke-Bewegung« (1947 erfüllte der »Arbeiterverräter« Adolf Henneke im Zwickauer Steinkohlerevier 387 Prozent der Norm) vgl. Kaiser, Paul: Die Aura der Schmelzer. Arbeiter-und Brigadebilder in der DDR – ein Bildmuster im Wandel. In: Rehberg, Karl-Siegbert; Holler, Wolfgang; Kaiser, Paul (Hg.): Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen. Köln, 2012, S. 167-173 (nachfolgend: Kaiser 2012),S. 169, die »Christoph-Wehner-Methode« (1958 im Federwerk Zittau) vgl. Reichel, Thomas: »Sozialistisch arbeiten, lernen und leben«. Die Brigadebewegung in der DDR (1959-1989). Köln, Weimar, Wien 2011 (nachfolgend: Reichel 2011), S. 58, und schließlich die Initiative zur täglichen Übererfüllung durch den sowjetischen Bergarbeiter Nikolai Jakowlewitsch Mamai, Namensgeber der Jugend-Brigade »Nikolai Mamai« im EKB, ebenfalls 1958, ebd.
7 Vgl. Würz, Markus: Brigaden der sozialistischen Arbeit, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: www.hdg.de/lemo/kapitel/geteiltes-deutschland-gruenderjahre/wirtschaft-und-gesellschaft-im-osten/brigaden-der-sozialistischen-arbeit.html, zuletzt besucht am: 10.01.2022.
8 Ab 1962 »Kollektiv der Sozialistischen Arbeit« vgl. ebd.
9 Vgl. Reichel 2011, S. 56. Entschärfend: Duhm wies darauf hin, dass zur selben Zeit ein gewisser wirtschaftlicher Aufschwung die Hoffnung auf Modernisierung, weniger Arbeitszeit und damit mehr Freizeit weckteund die entsprechenden betrieblich forcierten Angebote zu ihrer Ausgestaltung vor diesem Hintergrund zu betrachten seien. Vgl. Duhm, Burghard: Walter Dötsch und die Brigade Mamai – der Bitterfelder Weg in Bitterfeld. In: Feist, Günther; Gillen, Eckhart; Vierneisel, Beatrice (Hg.): Kunstdokumentation SBZ/DDR 1945-1990. Aufsätze, Berichte, Materialien. Berlin 1996, S. 564-574 (nachfolgend: Duhm 1996), S. 566.
10 Ebd., S. 567.
11 Zum »Drehbuch«: Vgl. Reichel 2011, S. 56ff.


Bildnerisches Volkskunstschaffen im Bitterfelder Kulturpalast. Eine historische Bildbetrachtung


Marc Meißner

Mit dem Ölgemälde „Bildnerisches Volksschaffen“ aus dem Jahr 1972 setzte der Maler und Grafiker Bernhard Franke seinem Malzirkel ein künstlerisches Denkmal.

Der 1922 in Bitterfeld geborene Franke fand bereits 1950 nach seinem zweijährigen Studium bei Carl Crodels Malklasse an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle eine Anstellung als Maler für Produktionspropaganda im VEB Kartonfabrik Bitterfeld. In dieser Zeit lernte er seinen Kollegen Walter Dötsch kennen, der schon 1950 das Amateurkunstkollektiv für bildnerisches Volksschaffen des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld (EKB) als Zirkelleiter übernommen hatte. Nach dem gemeinsamen Anschluss von Franke und Dötsch 1952 an die Malerbrigade „Lucas Cranach“ erhielt Franke ebenfalls einen „Freundschaftsvertrag“, und zwar mit dem VEB Farbenfabrik Wolfen (dieser ging 1969 mit dem EKB im VEB Chemisches Kombinat Bitterfeld auf). Zwischen 1952 und 1979 leitete Bernhard Franke neben seiner freischaffenden Tätigkeit als Maler einen Zirkel für bildnerisches Volksschaffen. Damit gilt er bis heute als Pionier im Bereich der betrieblichen Amateurkunst. 1952 – lange vor der „Bitterfelder Konferenz“ – forderte die Anleitung von Laien unterschiedlichen Alters und verschiedener Berufe viel Mühe und ein besonderes Engagement in der Organisation der Zirkelarbeit. Zu dieser Zeit bestanden weder Erfahrungen auf dem Gebiet noch waren die institutionellen Stellen zur Koordinierung der betrieblichen Kulturarbeit bereits aufgebaut. Dennoch schaffte es Franke, mit Kreativität und pädagogischem Feingefühl den Laien Freude an der künstlerisch-schöpferischen Arbeit zu vermitteln und befähigte sie dabei, ein beachtliches Leistungsniveau zu erreichen.

Das vorliegende Gemälde gibt uns einen einzigartigen Blick auf das bildnerische Volksschaffen am Beispiel des Franke-Zirkels. Dem Betrachter präsentiert er ein farbenfrohes Konglomerat verschiedenster Szenarien und Aktivitäten eines Volkskunstkollektives. Es sind mehrere, aufgrund ihrer weißen Malerkittel als Zirkelmitglieder erkennbare Männer und Frauen unterschiedlichen Alters zu erkennen. Die Gesichter sind fokussiert. Franke zeigt, mit welcher Konzentration und Ernsthaftigkeit die Amateurkünstler ihrer schöpferischen Tätigkeit nachgehen und an der Erhöhung ihres künstlerischen Niveaus arbeiten. Eine Staffelei teilt das Werk optisch, ohne es dadurch auch thematisch zu trennen. Sie lenkt den Blick und bringt so eine Gliederung, eine gewisse Ruhe und Ordnung in die vielen kleinen Szenen künstlerischer Aktivitäten. Aus der Staffelei scheinen Schwaden aus bunten Farben emporzusteigen und erinnern an die austretenden Abgase der Bitterfelder Chemieindustrie. Es kann somit als eine Allegorie dafür gelten, wie die im Zirkel geschaffene Kunst und Kultur ihren Weg in die Welt hinausfindet. Schließlich arbeitete der Zirkel nicht nur regional, sondern war mit diversen Studienreisen wie 1961 nach Bulgarien oder der Ausstellung „Franke und sein Studio“ 1972 in Uljanowsk international aktiv.

Links neben der Staffelei stellt sich Bernhard Franke auch selbst als Zirkelleiter inmitten der Szenerie dar. Direkt dem Betrachter zugewendet verweist er auf ein Bild – so wie er wohl auch seinen Zirkel präsentieren möchte.

Er hält indessen ein Bild einer Frau – vermutlich aus der Sowjetunion stammend – in seinen Händen, welches sofort an Frankes Ölgemälde „Mütterchen Baschkirien“ von 1974 erinnert. Dies spiegelt jedoch auch die thematische Umsetzung der auf Studienreisen gesammelten Eindrücke bei der künstlerischen Arbeit des Zirkels wider. So entstand infolge einer Exkursion in die sowjetische Region um Ufa 1969 ein Reisebericht sowie zahlreiche Werke von Franke als auch den Volkskünstlern Herbert Ruland, Heinz Zwick, Wolfgang Lüder, Reiner Hagel, Alfred und Horst Hirschmit ausländischen Reisemotiven.
Im vorderen Bildteil sind zudem zahlreiche Kunstmaterialien zu finden, welche wiederrum die Vielfalt der künstlerischen Betätigung verdeutlichen. Neben Sonnenblumen, die für die Stilllebenmalerei stehen, ist weiterhin ein Lithographiestein, Pinsel und Farben zu erkennen. Die Kosten für Materialien aber auch Weiterbildungen waren wie die Teilnahme am Zirkel kostenfrei. Das Kombinat finanzierte dies über den organisatorischen Träger der betrieblichen Kulturarbeit, dem Kulturpalast Bitterfeld.
Am rechten Bildrand sind weiterhin Zirkelmitglieder bei ihrer künstlerischen Arbeit zu erkennen, ob beim Portraitieren einer Frau oder der Anleitung einer Kindermalgruppe. Abgesehen von dem leistungsmäßig ausgerichteten Zirkel für bildnerisches Volksschaffen bestanden zusätzlich Kinder- und Jugendmalgruppen, welche zumeist von erwachsenen, qualifizierten Zirkelmitgliedern aus den Kollektiven von Walter Dötsch oder Bernhard Franke angeleitet wurden. So betreute die Volkskünstlerin Lore Dimter ab 1962 einen Kinderzirkel wie ebenso Gisela Leubner, Urda Gothmann oder Heinz Zwick.

Im linken Vordergrund verweist überdies die Dreiergruppe mit einer Druckwalze auf die unterschiedlichen künstlerischen Verfahren, die im Zirkel erlernt und angewendet wurden. So arbeiteten die Amateurkünstler an Öl- als auch Aquarellmalereien, Radierungen, Lithografien sowie an Siebdrucken, Radierungen und Linolschnitten oder sogar an Kupfertreibarbeiten und Tuschezeichnungen.
Der linke Hintergrund zeigt nebstdem eine Besprechung eines Zirkelmitglied mit einem Kulturfunktionär und zwei Arbeitern. Diese Szene verweist somit auf die betriebliche Kulturarbeit, bei der Arbeiter, Brigadiers und Gewerkschafter ihre kulturellen Bedürfnisse kundtun konnten und über Veranstaltungen oder die Planung von Ausstellungen gemeinsam diskutiert wurde. Dies symbolisiert jedoch auch die Verbundenheit der Volkskünstler zu ihrem Kombinat, dem sie selbst zumeist angehörten. Des Weiteren trugen sie mit ihren Gemälden oder baugebunden Werken zur Verschönerung der Arbeitsbereiche als auch Sozialräume bei, wie es bspw. die Hinterglasmalerei „Märchen der Völker“ in einem Betriebskindergarten verdeutlicht.
Die Verbindung zum Kombinat kommt jedoch ebenso in der daneben liegenden Szene zum Ausdruck, wo ein Zirkelmitglied chemische Anlagen malt. Das direkte Arbeitsumfeld, aber auch vor allem Arbeiter und ihre Brigaden galten als beliebtes Sujet der Laienkünstler, welche die Lebenswelt ihrer Kollegen somit kreativ umsetzten und ihre Werke durch Ausstellungen direkt im Betrieb einer kritischen Prüfung unterziehen konnten. Dies gilt nicht nur als wesentliches Element der 1959 begründeten kulturpolitischen Konzeption des „Bitterfelder Weges“, sondern zählte zugleich stets zum Selbstverständnis des Zirkels.

Ein weiteres wichtiges Element der Zirkelarbeit, die kollektive künstlerische Arbeit, wird im rechten Bildteil durch die Gruppe an der Staffelei verdeutlicht. Gemeinschaftlich entstanden im Zirkel neben Einzelwerken auch viele Gruppenarbeiten, bei denen es auf den gegenseitigen Austausch und das freundschaftliche Miteinander der Mitglieder besonders ankam. Der Zirkel entwickelte sich somit als eine Art zweite Familie, in der sich vertrauensvoll ausgetauscht und diskutiert werden konnte. So standen neben der Kunst immer auch die Geselligkeit und Gemeinschaft im Vordergrund. Zu ihren professionellen Leitern wie Bernhard Franke pflegten die Kollektive ein freundschaftliches Verhältnis.
Im rechten Hintergrund verweist eine Szenerie, bestehend aus einer Volkskünstlerin im Gespräch mit einem Bauern in brauner Jacke vor Feldern und einem Traktor, auf das Engagement des Zirkels, Kunst und Kultur auch in ländlichen Gegenden zu ermöglichen. So organisierten sie bspw. 1954 in Retzau und 1957 in Schierau Kunstausstellungen, worüber 1963 sogar die DEFA mit ihrem Dokumentarfilm „Ihre zweite Schicht“ unter der Regie von Nina Freudenberg berichtete. Anlässlich der zweiten Bitterfelder Konferenz erreichte der Zirkel zwei Jahre später in Retzau ein großes Atelierfest mit den Künstlern Willi Sitte und Karl Erich Müller.
Links neben der landwirtschaftlichen Szene ist außerdem ein Mann bei der Arbeit hinter Leinwänden, Bilderrahmen und einem Plakat zu erkennen, welches auf den Titel einer Ausstellung schließen lässt. Als unabdingbares Element der Zirkelarbeit wurde hierbei auf die zahlreichen Kunstausstellungen verwiesen, bei denen die Laienkünstler ihre Werke präsentierten und damit ihre Leistung zeigen konnten.

Die Bandbreite reichte hier von den Kunsttagen oder Betriebsfestspielen in den Räumen des Kulturpalastes über die Teilnahmen zu den Arbeiterfestspielen und bis hin zu Ausstellungen im sozialistischen Ausland, was das hohe künstlerische Niveau des Bitterfelder Franke-Zirkel widerspiegelte. So wurden sie 1959 mit dem Preis für künstlerisches Volksschaffen der ersten Klasse und mehrfach mit dem Kunstpreis des FDGB ausgezeichnet, wobei Bernhard Franke selbst die Verdienstmedaille der DDR überreicht bekam als auch Nationalpreisträger wurde.
Sein vorliegendes Gemälde „Bildnerisches Volksschaffen“ aus dem Jahr 1972 kann unter anderem nun zum kulturellen Erbe der Region Bitterfeld und der ehemaligen DDR zählen. Zudem hat er damit ein historisches Zeitdokument geschaffen, welches uns heute einen beispiellosen Eindruck von der Vielfalt der künstlerischen Arbeit des Bitterfelder Zirkels für bildnerisches Volksschaffen vermittelt.